An Bord: Thomas Klie, Soziologe und Rechtswissenschaftler

Februar 2011

Seit 1988 ist der gebürtige Hamburger Professor für öffentliches Recht an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Er beschäftigt sich seit langem mit dem Betreuungsrecht und ist einer der wichtigen Ideengeber des Betreuungsgerichtstags. Ausgewiesener Experte in Fragen der Pflege und des Pflegerechts, engagiert in der Frage der Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen in der Pflege (Projekt ReduFix) Von 2004 bis 2008 war Klie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie. Klie ist Verfechter des Welfare Mix, dem Zusammenwirken von Professionellen, Angehörigen und Ehrenamtlichen in der Pflege und Sozialen Arbeit.

Interview von Christine Brinck mit Thomas Klie aus der Süddeutschen Zeitung vom 29.01.2011 (285 KB)


An Bord: Peter Winterstein, Vizepräsident des OLG Rostock und Vorsitzender des BGT

Mai 2010

Seit 2010 Vizepräsident des Oberlandesgerichts Rostock, zuvor seit 2004 Direktor des Amtsgerichts Schwerin.
geboren in Franken / beim Abitur schon stand fest, dass er Jurist werden wollte; das Studium ging dann blitzschnell: Die nötigen Scheine hatte er nach vier Semestern zusammen, das Examen folgte nach dem siebten und ein Arbeitsangebot gleich im Anschluss ans Referendariat. Die Aussicht auf eine Stelle als Anwalt in einer Kanzlei mit Blick aufs Hamburger Rathaus gab er auf, wurde erst Staatsanwalt, dann Strafrichter und kam bald eher zufällig zum Vormundschaftsrecht. „Kniete sich rein“, um so gut zu werden, wie er es sich vorgenommen hatte; gründete den Vormundschaftsgerichtstag e.V. mit, lernte Mitte der 80er Jahre gemeinsam mit anderen Richtern in Österreich das dortige Sachwalterrecht kennen, in Frankreich die Altenheime und in Italien die gesellschaftlichen Veränderungen nach der Reformpsychiatrie; war 1986/89 beim Gesetzgebungsverfahren zum neuen Betreuungsrecht im Bundesjustizministerium eingebunden;  engagiert sich als Herausgeberbeirat einer Fachzeitschrift im Bereich des Betreuungsrechts sowie im Vorstand des VGT e.V. für ein fortschrittliches Betreuungsrecht.

Ein Interview mit Peter Winterstein (65 KB) mit dem Titel „Der Einzelne mit dieser Macht - das kann nicht gut gehen. Die Akteure im Betreuungswesen brauchen eine Berufsethik“, das sich mit dem Richterbild und dem interdisziplinären Dialog im Betreuungswesen beschäftigt und zur inneren Selbstverpflichtung aller Akteure im Betreuungswesen aufruft.


An Bord: Dagmar Budde, Sachgebietsleiterin der Betreuungsstelle Bonn

November 2009

„Ich bin Gewerkschaftsmitglied aus Tradition und VGT-Mitglied aus Leidenschaft“. Dagmar Budde, gefragt nach dem Grund ihres Engagements im VGT e.V., kommt gleich auf den Punkt. Dabei war ursprünglich das Betreuungsrecht nicht eben das, wohin es die Sozialarbeiterin zu Beginn ihrer Laufbahn zog. „Es klang nach Mündelwesen, Hierarchie und Amtssprache...“. Doch eine kleine Anzeige in einer juristischen Fachzeitschrift zeigte ihr und anderen Aufbruchwilligen Anfang der 90er Jahre, dass es auch anders gehen könnte: Ankündigung eines Treffens von Engagierten im Betreuungswesen / Treffpunkt: Bad Bevensen. Die schlichte Aufforderung zum Mitgestalten erreichte die damalige Berufsanfängerin genau zum richtigen Zeitpunkt und wurde zum Beginn eines Engagements für ein besseres Betreuungsrecht, das für sie und viele, die seit damals dabei sind, bis heute eine „Herzensangelegenheit“ ist.

Vom Recht auf Irre-Sein und dem Geist von Bad Bevensen
„Wir alle haben ein Bild von Familie, an dem wir hängen und das wir bewahren möchten. Und wir wollen nicht so gern wahrhaben, dass sich Familien verändert haben.“ Auch in der ehemaligen Bundeshauptstadt, in der sie seit Anfang der 90er Jahre die Betreuungsstelle leitet, leben immer mehr Menschen allein. Ihre Versorgung wird im Notfall keineswegs selbstverständlich innerhalb der Familie und Nachbarschaft geregelt. Längst schon ist hier die Zahl der Berufsbetreuer größer als die der ehrenamtlich Tätigen. Das hat mit demographischem Wandel zu tun, mit Veränderungen in  Familie und aber auch mit der Tatsache, dass Ehrenamtliche durch die Herausforderung Betreuung an ihre Grenzen kommen. Die aktuelle Diskussion über die Kosten von Berufsbetreuung, findet Dagmar Budde, müsse deshalb durch kritische  Fachleute einmal mehr begleitet werden. Denn die Gewinnung, Schulung und Unterstützung von Ehrenamtlichen, koste, über die Aufwandspauschale hinausgehend, Geld.  
Doch auch dort, wo Familien noch einspringen, ist nicht automatisch die Welt in Ordnung: „Werden die Wünsche des Betreuten ignoriert oder gewürdigt? Werden seine Interessen bei allen Entscheidungen gewahrt? Darf er bleiben und leben, wie er es will? Oder wird anmaßend in sein Leben eingegriffen?“ Im Betreuungsverfahren müsse stets die (selbst)kritische Prüfung aller Umstände - insbesondere des Erforderlichkeitsgrundsatzes - obenan stehen, um beurteilen zu können, ob ein Mensch wirklich auf Betreuung angewiesen ist oder ob er bloß mit seinem Lebensstil die Vorstellungen seiner Umgebung strapaziert. Gute Betreuung bedeute auch „das Recht auf Irre-Sein“ - im Zweifelsfall auch das Recht, sich selbst zu schädigen.
Die gesellschaftliche Diskussion um das Stellvertreterhandeln müsse geführt werden, allerdings wünscht sich Dagmar Budde, eine entspanntere und pragmatischere Debatte. „Das Betreuungsrecht kann nicht alle rechtlichen und praktischen Probleme im Hinblick auf Schutz und Fürsorge für kranke und behinderte Menschen lösen“. Ob durch einen vertrauten Menschen, oder durch einen Vereins-, Berufs- oder Behördenbetreuer betreut: „Selbstbestimmung als Maß der Dinge“, dies ist ihre Richtschnur für die fällige Qualitätsdebatte im Betreuungswesen. Der Betreute oder der Vollmachtgeber muss mit all seinen Möglichkeiten und Defiziten im Zentrum des Handelns stehen.
An dieser „Haltung“ zu arbeiten und für sie zu werben, das ist auch die bleibende Aufgabe eines Fachverbandes, in dem über Fachgrenzen hinweg diskutiert wird. Beste Vernetzung aller Beteiligten auf Bundes- und Ortsebene sorgt für die Verbreitung fortschrittlicher Haltungen und Vorgehensweisen - und stellt die notwendige Rückkoppelung mit der Praxis der Handelnden sicher. Dagmar Budde engagiert sich dafür in der AG der Betreuungsbehörden im Rheinland, der BAG der örtlichen Betreuungsbehörden sowie beim Deutschen Verein in der AG der örtlichen Betreuungsbehörden. Dafür ist sie auch beim zweiten Vormundschaftsgerichtstag in Bad Bevensen Mitglied im VGT e.V. geworden. Die Aufbruchstimmung, der Bruch mit verkrusteten Strukturen, der Wunsch mitzugestalten und mit Gleichgesinnten an einem Strang zu ziehen; die Identifikation mit dem Wesen des „neuen Rechts“ und des neuen Vereins und insbesondere die Authentizität und das Engagement seiner Mitglieder wie Hans Erich Jürgens, Michael Sandkühler und Jan Wojnar... „Der Geist von Bad Bevensen“ trägt bis heute. Und so ist ihre zweite Antwort auf die Frage, warum sie Mitglied im Vormundschaftsgerichtstag e.V. ist, diese: „Es gibt keinen besseren Verein im Betreuungswesen!“


An Bord: John Gelübcke, Betreuungsrichter in Hamburg

August 2009

Bild: Siegfried Kaufmann

Praxisschock
„Ich hatte bis dahin noch nie davon gehört, dass man psychisch kranke Menschen in geschlossene Stationen einsperren konnte. Das war an meinem behüteten Leben vorbei gegangen.“ Bis Anfang 1981, als John Gelübcke Richter auf Probe am Vormundschaftsgericht Hamburg wurde und anfing, mit einem Kollegen die Verhältnisse zu ändern, herrschte dort eine unglaubliche Mischung aus Rücksichtslosigkeit und Ignoranz: Ohne Ansehen der Person wurden Menschen für sechs Wochen  „untergebracht“, wurde nach sieben Tagen die Akte kurz aus dem Schrank genommen, um per Anruf in der „Anstalt“ zu klären, ob die Betroffenen (etwa) noch gehört werden müsste, wurden Anhörungen absolviert von interesselosen, schweigenden Anwälten. Wie leicht sich das alles ändern ließ im Sinne der Betroffenen, ist vielleicht kein gutes Argument für Vertrauen in die Justiz, wohl aber für die Chancen entschlossener Reformer wie die beiden Jungrichter: Sie sprachen die „richtigen“ (engagierten) Anwälte an, konnten sie für das Vormundschaftsgericht gewinnen und informierten sie jeweils sofort über eine Unterbringung, sodass nach nur drei Tagen eine gut vorbereitete Anhörung angesetzt werden konnte. „Wir haben das für Hamburg flächendeckend durchgezogen, das machte zwar ein bisschen böses Blut“, bemerkt John Gelübcke schmunzelnd, „war aber richtungweisend.“ Plötzlich habe er in seiner Tätigkeit gemerkt, dass man mit anderen Gleichgesinnten „Dinge tatsächlich verändern konnte. Das war irre“.

Der folgerichtige Weg bis zum Gründungsimpuls des VGT durch Hans Erich Jürgens scheint schnell erzählt: Nach dem Vorbild des Familiengerichtstages sollten engagierte Fachleute und Betroffenenorganisationen gewonnen und ein interdisziplinärer Verein gegründet werden, „der als einzigen Vereinszweck hat, alle zwei Jahre eine große Tagung bundesweit durchzuführen und dazu alle an dieser Disziplin Beteiligten einzuladen.“ 1988 war es soweit: Der erste Vormundschaftsgerichtstag fand in Bad Bevensen statt.
Alle Beteiligten einzubinden – darauf legt John Gelübcke besonderen Wert. Denn alle Beteiligten heißt seiner Ansicht nach vor allem: die Betroffenen. Um die Stärkung ihrer Rechte gehe es heute genau so wie bei der Psychiatrieenquete in den 1970er Jahren, beim neuen Betreuungsrecht 1992 und aktuell bei der Umsetzung der UN-Konvention über Rechte von Menschen mit Behinderungen – die „uneingeschränkt und vorbehaltlos gültig“ sei, auch wenn wahrscheinlich „mehr als die Hälfte“ der Betreuungsrichter nicht wisse, dass diese UN-Konvention seit 26. März in Kraft sei und was darin stehe.

Der VGT ist keine Standesorganisation
„Wir sind die Garanten für die Einhaltung des jetzt vorgeschriebenen Verfahrens, wenn es darum geht für betroffene Menschen eine Betreuung einzurichten. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass die Rechtsvorschriften, dass das Gesetz so angewendet wird, wie es zum Schutze des Betroffenen gemacht worden ist.“ Darum ist der streitbare Hamburger Richter auch nicht zufrieden, wenn der vgt sich wie eine Standesorganisation verhalte (ob von Richtern oder Betreuern) und Debatten über Pauschalierungen ernster nehme als seine vornehmste Aufgabe: „an der Selbstbestimmung der betroffenen Menschen mitzuwirken“.
Dass sich nur eine Minderheit der Richter für dieses Amt interessiert, dass im Studium das Betreuungsrecht ein Nischendasein fristet, dass sich nur wenige Ärzte, „alle jenseits der 65“, für eine Fortbildung anmelden, wie jüngst in Hamburg, spornt ihn nur noch mehr an den VGT als Medium zu nutzen: „Ich will mit Gleichgesinnten darüber reden, was wir verbessern können, wie wir Kollegen einfangen können, damit sie sich für diese Aufgabe interessieren.“
Einen Nachfolger hat er bereits vor Jahren überzeugt: „Der ist vom OLG zurückgegangen ans Amtsgericht. Und über uns hieß es dann: das fürchterliche Duo Meyn und Gelübcke in Hamburg.“


An Bord: Beate Gerigk, Berufsbetreuerin in Hessen

21. Mai 2009

VGT exklusiv
Der VGT ist der „erste und einzige berufsbedingte Verein“, in den Beate Gerigk jemals eingetreten ist. Weil sie „die Vielfalt der Berufe und die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen“ schätzt und ein überzeugender Mentor sie warb: Karl-Ernst Brill, langjähriger Geschäftsführer des VGT bat sie 2004 auf dem VGT-West in Mülheim Mitglied zu werden – „um den VGT zu unterstützen.“ Der Autor des Klassikers „Psychisch Kranke im Recht“, der 2004 mit nur 49 Jahren starb, hat sie davon überzeugt, dass sich die Vernetzung mit anderen engagierten und gleich gesinnten Fachleuten im Betreuungswesen lohnt. „Weil es uns im VGT auf das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten ankommt“, ist Beate Gerigk überzeugt. Die Sozialwissenschaftlerin hatte sich nach vielen Berufsjahren in der Sucht- und Sektenberatung zunächst kaum vorstellen können, als Betreuerin zu arbeiten, weil sie „eigentlich nie die Vormundschaft über andere Menschen“ hatte haben wollen, die ihr in der alten Form noch hinreichend bekannt war. Doch vom Grundsatz des reformierten Betreuungsrechts ist sie „immer noch begeistert“.
Was „gute Betreuung“ für sie bedeute? „Die Rechte des Betreuten zu verwirklichen und mich überflüssig zu machen“ – Letzteres gelinge leider nur selten.

Kein Himbeerblättertee
Seit 15 Jahren arbeitet Beate Gerigk als rechtliche Betreuerin – mittlerweile je zur Hälfte als selbstständige Berufsbetreuerin und für einen Betreuungsverein. Was im VGT selbstverständlich ist – der Austausch auf Augenhöhe mit anderen Professionen, erfährt sie in ihrem Alltag eher selten.

Als aktives Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft Betreuungsvereine Hessen erlebt sie auf den gemeinsamen Tagungen noch immer Überraschungen – wie den Richter, der bis dahin überzeugt war, in Betreuungsvereinen nur „Damen und Herren in Birkenstocksandalen anzutreffen, die Himbeerblättertee trinken.“ Die vielfältigen Aufgaben von Betreuungsvereinen und die engagierte Arbeit der Querschnittsmitarbeiter und Vereinsbetreuer sind auch unter Fachleuten offenbar noch nicht ausreichend bekannt. Auch diese Lobbyarbeit übernimmt sie neben ihrer beruflichen Verantwortung und dem privaten Engagement für Familie und eigene Ehrenämter, z.B. in der Hospizarbeit.

„Gute, klientenzentrierte Betreuungsarbeit machen, ehrenamtliche Betreuer begleiten und Menschen für dieses überaus spannende Amt begeistern“ – so beschreibt sie ihre wesentlichen Aufgaben. Dass auch das Hessische Curriculum zur Schulung ehrenamtlicher rechtlicher Betreuerinnen und Betreuer u.a. ihre Handschrift trägt, erwähnt sie erst im Laufe des Gesprächs – so wie die Tatsache, dass seit 2003 alle Betreuungsvereine in Hessen nach diesem Curriculum ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schulen sollen.
Gute Vernetzung funktioniert nur als Geben und Nehmen: Beate Gerigk hat das Curriculum bereits beim 10. VGT vorgestellt. Es geht ihr nicht darum, wer es „erfunden“ hat, sondern um fachlichen Austausch und praktische Arbeitshilfen - für Kollegen in Betreuungsvereinen und -behörden und qualifizierte ehrenamtliche Betreuer, die ihr Amt gern ausüben und im Betreuungsverein jederzeit einen kompetenten Ansprechpartner finden. Als Sprecherin der LAG Betreuungsvereine Hessen setzt sie sich auch für die Qualifizierung ihrer hessischen Vereinskollegen ein. Dafür nutzt sie den VGT, wenn sie auf der Suche nach guten Referenten ist und gleich gesinnte Fachleute braucht, die sie einfach anrufen kann.