Jahresrundbrief 2018/2019

BGT-Mitglieder-Rundbrief zum Jahreswechsel 2018/2019

"Nach der Reform ist vor der Reform"

 

Liebe BGT-Mitglieder,

das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) initiierte nach der Veröffentlichung zweier Studien einen interdisziplinären und partizipativen Reformprozess unter dem Titel "Selbstbestimmung und Qualität im Betreuungsrecht". Dieser breit angelegte Diskurs soll bis Ende 2019 geführt werden. Langjährige Praktiker aus Behörden, Betreuungsvereinen und der Justiz, Wissenschaftler, Vertreter aus Berufs- und Fachverbänden, selbstständige Betreuer und erstmals in der Geschichte des Betreuungsrechts auch Interessenverbände von Menschen mit Behinderungen und Betroffene selbst werden in den Diskussionsprozess mit eingebunden.


Dieser Diskussionsprozess wird in vier Facharbeitsgruppen geführt:

  • FAG 1: Stärkung des Selbstbestimmungsrechts bei der Betreuerauswahl, der Betreuungsführung und der Aufsicht
  • FAG 2: Betreuung als Beruf und die Vergütung des Berufsbetreuers
  • FAG 3: Ehrenamt und Vorsorgevollmacht (einschl. Verbesserung der finanziellen Situation der Betreuungsvereine)
  • FAG 4: Rechtliche Betreuung und andere Hilfen (Schnittstelle zwischen rechtlicher und sozialer Betreuung)

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) schätzt die Fachlichkeit des BGTs und hat uns gebeten in der Reformkommission mitzuarbeiten. Zehn Vorstandsmitglieder und weitere BGT-Mitglieder wirken in den Facharbeitsgruppen mit.
Auch dem Vormundschaftsrecht für Minderjährige steht eine Reform ins Haus. Da diese Reform in die Belange des Betreuungsrechts hineinragt, berät der BGT auch bei diesem Vorhaben das BMJV.

Das Jahr 2018 war ein bewegtes Jahr für das Betreuungswesen und hat uns veranlasst für ein humanes Betreuungsrecht und gute Rahmenbedingungen politisch Position zu beziehen. Unsere Aktivitäten und Forderungen haben wir mit Stellungnahmen und Pressemitteilungen zu folgenden Themen untermauert:

  • Die Betreuervergütung ist seit 2005 nicht mehr angehoben worden. Viele unserer Mitglieder müssen teils fassungslos, teils hilflos das politische Treiben mit ansehen. Betreuungsvereine sind in ihrer Existenz bedroht oder haben bereits ihre Arbeit eingestellt. Das Ende der Reformdiskussion kann nicht abgewartet werden. Wir fordern, dass kurzfristig eine Anpassung und erste Schritte hin zu besseren Rahmenbedingungen erfolgen müssen.
  • Noch immer werden Menschen mit einer Betreuung, die alle Angelegenheiten umfasst, bei Wahlen ausgeschlossen. Der BGT setzt sich seit Jahren dafür ein, dass auch diesen Menschen das Wahlrecht zusteht. Wir haben kein Verständnis dafür, dass die Politik nicht reagiert und das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage noch nicht entschieden hat. Zu dem von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag ein-gebrachten Gesetzentwurf zum Wahlrechtsausschluss bezogen wir ebenfalls Stellung.
  • Beim umstrittenen Gesetzentwurf der bayerischen Staatsregierung zum Bayerischen PsychKHG kritisierten wir den polizei- und ordnungsrechtlichen Regelungsansatz.
  • Die Ergebnisse der Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung (ISG) und Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes (IGES) bilden nach unserer Auffassung eine gute Grundlage, Verbesserungen im Betreuungswesen anzustoßen.

Den genauen Wortlaut unserer Stellungnahmen finden Sie auf unserer Homepage.

 

16. Betreuungsgerichtstag 2018

Im September war das brandenburgische Erkner Treffpunkt von etwa 400 Vertretern aus Fachwelt, Politik und vieler am Betreuungswesen beteiligten Akteure. Übertitelt war das dreitägige Programm mit "Betreuung 4.0 – auf dem Weg zu neuer Qualität". Nach der Veröffentlichung von zwei wegweisenden Studien steht nun ein Umbruch bevor, denn das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat einen breit angelegten Reformprozess angestoßen. Der Vorsitzen-de des Betreuungsgerichtstages, Peter Winterstein, erklärte deshalb in seiner Eröffnungsrede: "Wir rücken bewusst die Qualität in den Vordergrund und hoffen, einen Impuls zu setzen und das Betreuungswesen auf eine neue Stufe zu heben."
Der UN-Fachausschuss zur UN-BRK kritisiert das deutsche Betreuungsrecht und sieht die Behindertenrechtskonvention an einem entscheidenden Punkt nicht umgesetzt: Rechtlich Betreuende beteiligen zu häufig die betreute Person nicht ausreichend an Entscheidungsprozessen. So durchzog die Entwicklung hin zu mehr unterstützter Entscheidungsfindung die Tagung wie ein roter Faden: In mehreren Vorträgen und Workshops aus unterschiedlicher Perspektive thematisierten die Referentinnen und Referenten diese Problematik.


Prof. Dr. Andreas Paulus, Richter des Bundesverfassungsgerichts, war eigens angereist und diskutierte mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Fixierung. In weiteren Workshops waren u.a. die übermäßige Vergabe von Psychopharmaka in Pflegeheimen und Kriminalität im Betreuungswesen Gegenstand der Diskussionen.


Am Schlusstag berichteten Akteure aus Österreich über die Entwicklung der dortigen Reform, an der auch Selbstvertreter mitgewirkt haben. Ein Selbstvertreter, Herr Oswald Föllerer vom Verein Vienna People First, war Gast auf dem 16. BGT und berichtete von seinen Erfahrungen: "Früher habe ich", so Föllerer, "meinen Sachwalter fragen müssen, wenn ich in den Urlaub fahren wollte und Geld benötigte." Auch wenn er in Teilbereichen Schwierigkeiten habe, seine Anliegen und Rechte zu realisieren, so wünsche er sich eher Beratung und Begleitung, denn seine Selbstbestimmung sei ihm wichtig.


Auf der Mitgliederversammlung stellte sich Ulrich Wöhler nicht mehr zur Wahl. Er war seit 2002 ununterbrochen Mitglied des Vorstandes. Vielen Dank Uli! Für ihn wurde Achim Rhein, Mitarbeiter der überörtlichen Betreuungsbehörde in Rheinland-Pfalz, in den Vorstand gewählt.


Der Reformprozess, die Studienergebnisse und die Anpassung der Betreuervergütung fanden sich auch in den Programmen unserer regionalen Veranstaltungen wieder. Der 31. West-BGT in Bochum mit dem Titel "Qualität zum Nulltarif?!" und auch der 11. BGT Mitte in Kassel unter der Überschrift "Betreuung stark nachgefragt" griffen die Ergebnisse der ISG-Studie auf und setzten sich intensiv damit auseinander.

Ziel des BGTs ist der interdisziplinäre Austausch. Unserer Grundidee folgend initiierte die Betreuungsbehörde Deggendorf unter dem Titel "Alle an einen Tisch" den 1. BGT im Landkreis Deggendorf. Dem Aufruf folgten 120 Personen aus der Region Niederbayern.

 

BGT unterstützt Initiativen und Projekte   

Förderpreisverleihung 2018: Auf dem 16. Betreuungsgerichtstag in Erkner verlieh der BGT zum dritten Mal den Förderpreis im Andenken an Lothar Kreyssig. Die Jury zeichnete zwei Projekte aus.
Ein Preis ging an den Verein Mensch zuerst - Netzwerk People First e.V. aus Kassel. Unter der Überschrift "Wie kann ich gut mit meinem rechtlichen Betreuer oder mit meiner rechtlichen Betreuerin zusammenarbeiten?" finden Schulungsreihen statt, mit der sich die Vereinsmitarbeiter an Menschen mit Lernschwierigkeiten und andere Personen wenden, die rechtlich betreut werden. Sie stärken sie darin, ihre eigenen Wünsche in einer rechtlichen Betreuung zu erkennen und durch-zusetzen.
Das zweite preisbelohnte Projekt leistet einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des ländlichen Raumes. Die Betreuungsstelle des Landkreises Hildesheim startete mit dem Machmits-Infomobil, einen wohnortnahen kostenlosen Beratungsservice zu Themen wie Ehrenamt, Pflegeberatung, aber auch zu rechtlicher Betreuung, Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen.

 

Unsere Veranstaltungen in 2019/2020



Ein herzliches Dankeschön an alle, die sich bei der Vorbereitung der Tagungen und der Abfassung unserer Stellungnahmen engagiert haben.

Wir wünschen Ihnen geruhsame Feiertage und alles Gute für 2019.

 

Peter Winterstein                             Elmar Kreft

Vorsitzender                                        Geschäftsführer