LT 3: Einfach aufklären

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Mit geistig behinderten Menschen über Betreuung und Selbstbestimmung reden

Gibt es Übersetzer für Gesetzestexte? Wie sehen Brücken aus, die aus dem juristischen Fachjargon heraushelfen? Oder muss man sich damit abfinden, dass komplizierte Rechtsinhalte ausgerechnet von denen nicht verstanden werden, die davon besonders betroffen sind?

Es sind nicht viele, dafür umso engagiertere Fachleute im Betreuungswesen, die auf diese Fragen längst ihre bisweilen provozierenden Antworten gefunden haben. Sie halten es nämlich nicht für ausgemachte Sache, dass Menschen, die langsamer lernen und begreifen als der Durchschnitt, mit komplizierter Materie wie dem Betreuungsrecht überfordert werden.

Für Carola von Looz, Vormundschaftsrichterin am Amtsgericht Kerpen, ist klar: nicht das Lernvermögen der Menschen ist die Hürde, sondern die Gesetzestexte selbst. Sie sind komplex geschrieben, verweisen auf abstrakte Zusammenhänge und überfordern so wohl viele juristische Laien – umso mehr die Bürgerinnen und Bürger, die wegen ihrer Beeinträchtigung auf verdauliche Lernangebote angewiesen sind. Solche bietet die Richterin und (wenige) andere mit Fortbildungen und Vorträgen in einfacher Sprache.

 

Kann man Rechte fühlen?

Das Seminar beginnt mit dem, was jeder kennt: Über unsere Pflichten werden wir gemeinhin gut aufgeklärt, erläutert die Richterin. Da gibt es die Hausordnung, die Ampelschaltung und den vereinbarten Dienstbeginn. Oft aber wissen wir gar nicht, welche Rechte wir haben. Dabei gehören auch sie zu den Regeln, auf die man sich verlassen kann. Welche Rechte sind das?

Die Teilnehmer sprechen über Gefühle, wie Angst und Wut. Die Richterin erinnert an das Recht, etwas zu verändern, was nicht gut ist oder das Recht, sich zu beschweren - bei der Heimleitung, beim Kellner, aber auch bei Gericht oder dem gesetzlichen Betreuer. Sie fragt nach: „Haben Sie sich schon mal beschwert?“ Auch über Sehnsüchte wird geredet, über das, was man sich wünscht. Das Grundgesetz sichert jedem das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zu... Die Seminarleiterin zeichnet kleine Skizzen, während sie erläutert. Das gesprochene Wort wird auf diese Weise gestützt - auch das macht die einfache Sprache des Lernangebotes aus.

Die Botschaft am Ende eines Seminartages ist bestechend einfach: Man kann fühlen, was gerecht und was ungerecht ist. Die Zwischentöne von Gesetzestexte werden Schritt für Schritt fassbar. Welche Rechte ein Betreuter hat, was ein Betreuer darf und was nicht, dafür gibt es einen klaren Gradmesser: die eigene Wahrnehmung. Diesen Maßstab kennen zu lernen und wahrzunehmen, ist eine der Voraussetzungen dafür, dass Betreute mitreden können und nicht übervorteilt werden.

 

Bordsteine absenken

Für Ella Sebastian, die bei der Lebenshilfe Köln für die Fortbildungen zuständig ist, sind solche Lernangebote längst überfällig. Eine neue Generation von Menschen mit Behinderung wächst heran, die nicht überbehütet groß geworden sind, wie viele vor ihnen. Noch viel zu selten aber werden sie als Lernende angesprochen. „Hier muss sich erst eine Kultur der Ansprache und neuer Bildungsangebote entwickeln“, sagt Ella Sebastian. Jeder Mensch mit Behinderung kann ermutigt werden, der eigenen Wahrnehmung zu trauen und seine Wünsche mitzuteilen. Nahezu jeder aus dieser Gruppe hat einen gesetzlichen Betreuer oder eine Betreuerin zur Seite stehen, der wichtige Entscheidungen trifft, den Kontostand überprüft oder Briefe für den Betreuten schreibt.

Maßgebend ist dabei, was der Betreute selbst will. Damit auch behinderte Menschen auf Augenhöhe mit ihren Betreuern handeln können, ist es entscheidend, dass sie darüber aufgeklärt sind. Nur so können sie  „Ja“ oder „Nein“ sagen und sich ggf. auch gegen einen Betreuer zur Wehr zu setzen. Die gemeinsamen Seminare mit Carola von Looz sind für Ella Sebastian ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu Aufklärung und Selbstbestimmung. Die Fortbildungen, die der Verein „Leben mit Behinderung Hamburg e.V.“ seit elf Jahren schon fest im Programm hat, will auch die Lebenshilfe weiter anbieten.

 

Durchschaubare Rechtswege: ein Besuch bei Gericht

Wenn eine neue Betreuung eingerichtet wird, lädt Carola von Looz zum Erstgespräch ins Vormundschaftsgericht ein. Eine Anhörung ist keine Vorladung: Die Richterin sucht den persönlichen und direkten Kontakt, man plaudert über das nahe liegende, stellt sich vor und fasst Vertrauen. Zum Programm gehört auch ein Spaziergang durch das Gebäude. Die Richterin zeigt, wo die Betreuungsakten geschrieben und aufbewahrt werden und stellt ihre Mitarbeiterin vor.

Mit ihr, so erfahren die Betreuten, werden sie zuerst verbunden, wenn es eine Beschwerde, eine Eingabe oder ein anderes Anliegen zum Betreuungsverfahren gibt. Sie werden ermutigt, dieses Recht auch zu nutzen, erhalten die Telefonnummer und erfahren, wann das Büro besetzt ist. Der behinderte Mensch soll selbstständig handeln können. Er soll gestärkt und nicht durch belehrendes Verhalten geschwächt werden, darum geht es der Richterin auch bei gerichtlichen Terminen: „Ich gehe bei Anhörungen häufig mit den betroffenen Menschen die Akte Blatt für Blatt durch und zwar auch dann, wenn sie gar nicht lesen können. Selbst, wenn sie stark behindert sind, liegt ein bewegender Ernst in dieser Aktion, eben weil sie sich ernst genommen fühlen.

 

People first

Man kann mitreden und mitentscheiden, wenn man die Zusammenhänge kennt, das war vor 35 Jahre der Ausgangspunkt der Emanzipationsbewegung people first in Amerika. Menschen mit Lernschwierigkeiten engagieren sich auch in Deutschland dafür, dass Verwaltungsvorgänge durchschaubar werden und dass ihre Wünsche und Vorstellungen, so wie es im Betreuungsrecht vorgesehen ist, berücksichtigt werden.

Wer in einfacher Sprache über seine Rechte aufgeklärt wurde, kann sie auch wahrnehmen und – wenn nötig – einfordern. „Deshalb sollten Sie ihrem gesetzlichen Betreuer immer wieder sagen, wie Sie sich Ihr Leben vorstellen und wovon Sie träumen“, sagt Carola von Looz in der Fortbildung. „Schließlich ist es Ihr Leben.“

 

Einfach ausgedrückt (Zusammenfassung)

Betreuungs-Gesetz:
Das sind Regeln. Die Regeln gelten für gesetzliche Betreuung. Manche Menschen mit Lernschwierigkeiten haben gesetzliche Betreuung.
Das heißt: Sie bekommen bei bestimmten Sachen Hilfe.
Das macht ein gesetzlicher Betreuer. Oder eine gesetzliche Betreuerin.

Dafür kann man gesetzliche Betreuung bekommen:

  • Geld-Dinge
  • Gesundheits-Dinge
  • Wohnen

Man kann sich seinen gesetzlichen Betreuer aussuchen.  Man kann sich aussuchen:

  • Soll es ein Mann sein.
  • Soll es eine Frau sein“

aus:
Das neue Wörterbuch für Leichte Sprache.
(Ein Buch für alle, die wissen möchten, wie man Texte in leichter Sprache schreibt. Mit Bilder-CD).
ISBN 978-3-937945-08-8. 20 € plus Versandkosten. Online-Bestellung unter: www.people1.de

Lesetipp:
„Wir wollen – wir lernen – wir können!“ Erwachsenenbildung, Inklusion, Empowerment.
Bundesvereinigung Lebenshilfe (Hg.). Bst.-Nr.: LFK 908. 19,50 €. (Alle Fachbeiträge und Texte wurden in leichter Sprache geschrieben und zusätzlich illustriert. Der Reader für die Erwachsenenbildungarbeit erscheint in Kürze in 2. Auflage.) Online-Bestellung über www.lebenshilfe.de.

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